Wahlkreis 028 Delmenhorst – Wesermarsch – Oldenburg-Land, Linke

1. Frage: Welche Bedeutung hat der öffentliche Personenverkehr für Sie? Welche Bedeutung sollte er in zehn Jahren haben?

Ich selbst arbeite als Selbständiger zu Hause. Einen Führerschein habe ich nie gemacht. Meine Frau hat zwar – quasi obligatorisch wie bei fast allen – einen Führerschein in der Tasche, jedoch faktisch keine Fahrpraxis. Selbst haben wir kein Auto. Wenn dann fahren wir als Mitfahrer bei den Eltern mit. Aber ansonsten sind wir routinierte Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs.

Der Personennahverkehr sollte deutlich starker ausgebaut warden, um wirklich allen Teilhabe zu ermöglichen, von ökologischen Gründen ganz zu schweigen. Städte wieder um Menschen geplant warden. Die Industrie nicht vom Export des Automobils abhängig sein.

2. Frage: Welche Schwerpunkte sollten nach Ihrer Überzeugung in der Verkehrspolitik der kommenden Legislaturperiode gesetzt werden? Welche Gründe haben Sie dafür?

Güterverkehr auf die Schiene statt rollende Lager (Just in Time mit LKW). Die Bahn wieder verstaatlichen und deren fragwürdige Investitionen ins Ausland einstellen. Die Taktung verbessern und angemessene Kapazitäten bei gleichzeitiger Elektrifizierung der Strecken. Ergänzend dazu der Ausbau von Straßenbahnen und Buslinien, statt überteuerter Prestigeprojekte wie eine U-Bahn. Hinzu kommen neue Arbeitsplatzmodelle wie mehr Home Office, aber auch eine Stärkung des Radverkehrs. Für mehr Aufenthaltsqualität, Teilhabe und Umsatz die Stadtkerne autofrei gestalten, siehe Madrid, Pontevedra, Kopenhagen etc.

3. Frage: Infolge der coronabedingt eingebrochenen Fahrgastzahlen ist die Finanzierung des öffentlichen Personenverkehrs massiv gefährdet. Was wollen Sie tun, um die Finanzierung sicherzustellen?

Lufthansa warden bedingungslose 2 Milliarden Euro hinterhergeworfen, aber der öffentliche Personennahverkehr wird stiefmütterlich behandelt? Ich fürchte, Corona war Wasser auf die Mühlen für die Automobillobby. Doch aus der Not kann man eine Tugend Machen, ein Transformationsbudget mit Blick auf Klimawandel und Notsituationen wie jetzt Corona, Rücklagen bilden für ähnliche Ereignisse in Zukunft. Wenn der Staat es finanziert, dann muß der Staat auch Rechte an den Strukturen erhalten.

Die Erfahrung zeigt, daß gerade der öffentliche Personennahverkahr ERST existieren muß, BEVOR die Nachfrage danach zunimmt. Es muß erst diese Optioni der Mobilität geben, damit Menschen es auch wahrnehmen. Also auch mit Corona muß dafür gesorgt warden, daß öffentliche Verkehrsmittel eher mehr warden, nicht weniger!

4. Frage: Wenn es, u.a. als Pandemiefolge, zu finanziellen Zielkonflikten käme, wären Sie dazu bereit, Straßen- und vor allem Autobahnneubauten zugunsten von Schieneninfrastrukturmaßnahmen zurückzustellen?

Immer, bei Straßenbau erlebt man häufig das Downs-Thomson-Paradoxon. Behauptet wird, es würde alle Straßen entlasten, faktisch führen mehr Straßen oft auch zu noch mehr Autos. Es kann sogar zielführend sein, stellenweise Straßen zurückzubauen statt alles nur zu verschlimmbessern.

5. Frage: Was wollen Sie tun, um die verschiedenen Verkehrsträger besser miteinander zu verknüpfen und den Übergang auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiver zu machen?

Es reicht nicht, daß eine Strecke besteht, auch die Frequenz ist wichtig. Es braucht Anreizsysteme wie Azubi- und Sozialticket. Im Tourismus gibt es zum Beispiel im Wangerland das Konzept, daß man mit Kulturtaxe dafür nur einen Obolus 1 € pro Strecke zahlen muß beim Busfahren. Die Politik muß Systeme schaffen, daß Ältere den Führerschein eintauschen gegen einen dauerhaften Rabatt oder halt besagtes Sozialticket.

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist häufig auch das Shopping, eventuell muß der öffentliche Personennahverkehr auch lernen, wie man nicht nur die Menschen berücksichtigt, sondern auch deren Einkäufe (Baumarkt etc.), vielleicht in Kombination mit mehr Beinfreiheit allgemein. Und wenn die Radmobilität zunimmt, wird es auch dafür entsprechende Kapazitäten in Bus und Bahn brauchen.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Das Auto verspricht Freiheit, trotz hoher laufender Kosten, Staus, Parkplatzsuche, Unfällen etc. Aber gerade für Schüler*innen in jungen Jahren muß man besonders sorgen. Das Gefühl, zusammengedrängt in einem Bus oder Zug zu stehen, bleibt ein Leben lang. Aber vielleicht kann es auch ein Gefühl sein von wegen Entspannung, Entertainment, man macht Hausaufgaben oder erledigt einen Teil seiner Arbeit auf der Fahrt.

Interessant sind auch Konzepte, die es leicht erfaßbar machen. Zum Beispiel das Konzept aus Bremen „Einfach einsteigen“.

6. Frage: Gerade in ländlichen Gebieten gibt es bis heute kaum Möglichkeiten, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzubewegen. Welche Pläne haben Sie, um allen Menschen hinreichend Mobilität ohne eigenes Auto zu ermöglichen?

Man wird das Auto nicht abschaffen können, sollte sich von entweder, oder verabschieden und es zusammen denken. Wichtig ist vor allem, daß der öffentliche Personennahverkehr nicht letztlich teurer ist als das Auto. Zu diskutieren sind dann auch Pendlerpauschale etc.

Ein Problem wird auch das Personal sein. Jeder kann über einzelne Busfahrer*innen lästern oder auch Komplimente äußern. Auch sind Fragen der Qualifikation, Löhne etc. hier wichtig.

Es braucht jedoch pro aktiv auch Engagement über die Politik hinaus, welches neue Vorschläge einbringt, Ideen und Lösungen aufzeigt, wie es beispielsweise andernorts schon funktioniert.

7. Frage: Welche Ausbaumaßnahmen für und/oder Reaktivierungen von Schienenstrecken in Ihrem Wahlkreis werden Sie in der kommenden Legislaturperiode voranbringen?

Teilweise haben wir nur eingleisig verlaufende Bahnstrecken mit entsprechenden Problemen. Anschlußzeiten (z.B. von Hude über Delmenhorst nach Ganderkesee mit der Bahn) sind so knapp bemessen, daß man schnell den Anschluß verpaßt und sich eine Stunde lang die Beine in den Bauch steht. Von Menschen mit Einschränkungen, die auf die Fahrstühle angewiesen sind, ganz zu schweigen. Zu prüfen ist auch, ob und wo eine Elektrifizierung der Strecke Sinn macht.

Sehr wichtig, aber oft vergessen: Die Bahnhöfe sind unattraktiv, häßlich, sanierungsbedürftig. Bahnhöfe müssen wieder zu Orten der Begegnung warden … oder zumindest mit mehr gepflegtem Grün gestaltet warden, heller, freundlicher, vielleicht Raum und Flächen bereitstellen für Kulturvereine. Eine Idee:

Gerade die Jugend trifft sich gern an Bahnhöfen, ist fast wie ein Naturgesetz. Zumal die Kommunen das Angebot für die Jugend immer weiter runterfahren. Eigentlich dankbar für Bus und Bahn, wenn man jetzt noch Flächen, Sitzmöglichkeiten, Sanitäreinrichtungen etc. schafft. Vielleicht warden Bahnhöfe im ländlichen Raum auch Kulturtreffpunkte mit großzügigen überdachten Sitzmöglichkeiten.

8. Frage: Wie stehen Sie zum Deutschland-Takt? Welche Verbesserungen erwarten Sie für unsere Region im Hinblick auf den Deutschland-Takt?

Seit mir ein Insider der Bahn mal gesteckt hat, daß der Preis für die Bahncard rein willkürlich gewählt wurde und die Taktung sich an Bonner Abgeordneten ausgerichtet hat, damit die Politiker*innen bequem von A nach B kamen, zweifle ich erheblich an der Taktung.

Gerade nachts – die Jugend wird halt immer vergessen – fehlt es oft an Mobilität, wer auf dem Land wohnt und in der Stadt Party Machen will, muß bis morgens durchfeiern, weil dann erst die ersten Busse und Bahnen fahren.

9. Frage: Wie wollen Sie die Fernverkehrsanbindung des Nordwestens verbessern? Was wollen Sie dagegen tun, dass die Fernzüge von Bremen in Richtung Hannover bei Baustellen ständig gekürzt oder gestrichen werden?

Bahn verstaatlichen, wieder Geld bereitstellen, keine dämlichen Investitionen (der Bahn) in ausländische Projekte, Kostendeckung als Ziel, keine Gewinnorientierung, Geräte und Gleise besser warten, mehr Personal und Wertschätzung für das Personal (Löhne, Arbeitsbedingungen). Bottlenecks (Flaschenhälse) wie eingleisige Strecken schnell beseitigen durch Ausbau. Bei einer festgelegten Infrastruktur wie dem Streckennetz hat Wettbewerb nichts verloren. Da es sich hier gewissermaßen um ein natürliches Monopol handelt, gibt es auch keine Alternative zur Verstaatlichung, wenn es fair bepreist sein soll, aber auch Investitionen gewährleistet bleiben sollen.

10. Frage: Im Nordwesten gibt es eine große Zahl nicht elektrifizierter Strecken. Sehen Sie die Elektrifizierung weiterer Strecken als sinnvollste Option an und, wenn ja, welche Strecken würden Sie elektrifizieren?

Alle elektrifizieren. Oder etwas differenzierter: Wo nur alle Jubeljahre ein Zug fahren wird, es strukturell nicht sinnvoll wäre, da hätte die Elektrifizierung keine Priorität. Aber wenn man erlebt, wie aus Osteuropa ein Zug auf elektrifizierter Schiene fährt und dann an der deutschen Grenze rumgetüdelt warden muß, weil da nur ‘ne Diesellok fahren kann, dann ist das ein No Go.

Durch die Elektrifizierung warden auch digitale Angebote in den Bahnen besser zu gewährleisten sein.

11. Frage: Die Bahn hat in Sachen Barrierefreiheit noch einigen Nachholbedarf. Wie sollte dies in den nächsten Jahren angegangen und gefördert werden? Welche Rolle sollte der Bund einnehmen?

Wie gesagt, wenn die Bahn verstaatlicht wird, ist es alles wieder Bundesaufgabe. Auch darf man nicht nur die Verkehrsmittel per se betrachten, sondern es geht auch um ebenerdige Einstiege und Zugänglichkeit an den Bahnhöfen und Bushaltestellen. Geld ist genug da, aber meist profitieren Straßenbau und Automobil.

Auch braucht es mehr Beinfreiheit. Womöglich auch wieder mehr Abteildenken statt Sammelräume. Und Platzangebot für Einkäufe, Gepäck allgemein stärken. Die Ablagen waren früher noch Ablagen, heute sind sie eher Deko, auf die oftmals ein Koffer nicht mehr draufpaßt.