Als Wunderline oder Wunderlinie wird das Projekt für den Ausbau der Bahnverbindung zwischen Bremen und Groningen bezeichnet. Ziel ist es, einen attraktiven Personenverkehr auf der Schiene zwischen beiden Städten aufzubauen und die gesamte Region besser miteinander zu verknüpfen. Dazu gehören vertaktete Direktverbindungen und verkürzte Fahrzeiten. Um das erreichen zu können, sind beiderseits der Grenze sind verschiedene Baumaßnahmen erforderlich, um das geplante Angebot realisieren zu können.

PRO BAHN unterstützt das Projekt, von dem auf deutscher Seite auch der inländische Nahverkehr erheblich profitieren würde, und fordert seine zügige Verwirklichung, wenngleich wir in Detailfragen durchaus abweichende, meist weitergehende Vorstellungen haben. Die Gesamtrichtung des Vorhabens ist aber sinnvoll und zielführend. Wie nötig die Umsetzung des Projekts ist, zeigt ein Blick auf die Einwohnerzahlen der an der Strecke liegenden Städte und Gemeinden (Zahlen aus Wikipedia):

  • Bremen: 568.000
  • Groningen: 233.000
  • Oldenburg: 169.000
  • Delmenhorst: 78.000
  • Leer: 35.000
  • Sonstige Kommunen mit Halten an der Strecke: 255.000
  • Summe: 1.338.000

Aufgrund der 2015 zerstörten Friesenbrücke bei Weener gibt es seit Jahren überhaupt keine vernünftige Möglichkeit, von Deutschland aus Groningen nur mit dem Zug zu erreichen. Lediglich Weener, westlich der Friesenbrücke gelegen, wird von niederländischer Seite aus stündlich bedient.

Dieser Mangel an Bahnverbindungen wird noch dadurch verschlimert, dass es auch im Fernbusverkehr derzeit nur ein sehr beschränktes Angebot gibt, nachdem bereits vor einigen Jahren der Betreiber Publicexpress seinen Betrieb aufgeben musste und auch Flixbus seine Fahrten deutlich reduziert hat. Will man derzeit mit dem öffentlichen Personenverkehr von Bremen oder Oldenburg nach Groningen fahren, steigt man in Leer in einen Schnellbus um. Die Fahrzeit beträgt ca. 150 bzw. 110 Minuten. Abgesehen vom Umsteigen, das bereits viele potentielle Fahrgäste abschreckt, ist die Verbindung auch deutlich langsamer als das Auto. Damit ist man gut eine halbe Stunde schneller am Ziel.

Aber auch, als die Friesenbrücke noch stand, gab es bis zuletzt keine gute Bahnverbindung zwischen den Regionen. In den letzten Jahren fuhren die Züge zwischen Groningen und Leer zwar im Stundentakt mit vernünftigen Anschlüssen nach Oldenburg bzw. Bremen. Das Problem zu langer Fahrzeiten und der Umsteigezwang in Leer bestanden aber jederzeit. Die Verbindung war somit hauptsächlich für Studenten und Tagesausflügler ohne Zeitdruck attraktiv, während alle anderen Zielgruppen eher das Auto benutzten.

Dieser Stundentakt, wenn auch mit Umstieg, war jedoch schon eine erhebliche Verbesserung gegenüber dem Zustand zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn. Hier fristete der Abschnitt von Leer bis nach Neuschanz an der niederländischen Grenze stets ein Schaffendasein und war akut stilllegungsgefährdet. Das Angebot beschränkte sich zumeist auf zwei oder drei Zugpaare, teils sogar mit Umstieg in Neuschanz. Bis in die 80er Jahre hinein gab es immerhin auch durchgehende Eilzüge von Groningen bis nach Bremen und sogar nach Hannover und Braunschweig, bevor diese schließlich auch verschwanden. Der Nahverkehr wurde schon früh auf langsamere und insgesamt unbeliebtere Busse verlagert, die Halte in Bunde, Möhlenwarf und Ihrhove geschlossen.

Ein Blick in den Fahrplan 1991/92 zeigt deutlich die Misere am Ende der Bundesbahn-Ära:

ZugE3761E3763E3765
Verkehrstagetäglichwerktagstäglich
vonGroningenGroningenGroningen
Neuschanz8 4411 2318 12
Weener8 5611 3518 25
Leer (Ostfriesl)9 1011 5118 38
nach  Emden
Fahrplan der Kursbuchstrecke 397 im Fahrplanjahr 1991/92

Im krassen Gegensatz dazu steht nun das aktuelle Zielbild des Wunderline-Projekts. Die Fahrzeit zwischen Bremen und Groningen soll um eine halbe Stunde auf gut zwei Stunden verkürzt werden. Zudem soll es durchgehende, vertaktete Züge geben. Der aktuelle Entwurf des Deutschland-Takts sieht einen Zwei-Stunden-Takt mit schnellen Regionalzügen vor. Im Detail ist folgendes Angebot geplant:

  • Zwischen Groningen und Leer verkehren stündliche Nahverkehrszüge als Grundangebot. Sie halten an allen bisherigen Stationen und zusätzlich auch in Bunde und Ihrhove, deren Haltepunkte bis dahin wiedereröffnet werden sollen. In Leer bestehen kurze Anschlüsse in Richtung Oldenburg/Bremen und Emden.
  • Die jetzige Regio-S-Bahn zwischen Bad Zwischenahn und Bremen wird erstens beschleunigt und hält östlich von Oldenburg nur noch in Hude und Delmenhorst, so dass ein schneller Halbstundentakt auf dieser Strecke entsteht, und zweitens immer bis Leer durchgebunden. Die Züge halten zwischen Oldenburg und Leer auf allen Stationen. Eigentlich sollen diese Züge dann laut D-Takt auch an einem dritten Bahnhof zwischen Bad Zwischenahn und Leer, womöglich Apen, halten, jedoch hat die Landesnahverkehrsgesellschaft im Gespräch mit PRO BAHN diesen Halt als fahrplantechnisch nicht machbar bezeichnet. In Leer sollen Anschlüsse in Richtung Emden und Emsland bestehen. Damit wird
  • Alle zwei Stunden wird diese Linie demnach über Leer hinaus wie ein Regionalexpress bis Groningen durchgebunden und schafft so erstmals seit Jahrzehnten eine direkte Verbindung von Bremen dorthin. Ein genaues Halteschema ist den öffentlichen Planungen noch nicht zu entnehmen, aber auf deutscher Seite wird der Zug westlich von Leer nicht halten. Da er in den Niederlanden die Rolle des gerade neu eingeführten Sneltreins zwischen Groningen und Winschoten übernimmt, ist davon auszugehen, dass er dort in Winschoten, Scheemda und Groningen-Europapark stoppen wird.
  • Durch die Beschleunigung und Verlängerung der Regio-S-Bahn ist zwischen Bremen und Groningen eine Fahrzeit von 130 Minuten zu erwarten, sofern die nötigen Baumaßnahmen insbesondere westlich von Leer umgesetzt werden. Insgesamt ist das eine deutliche Verbesserung gegenüber heute und auch dem Zustand, als die Friesenbrücke noch intakt war.

Gleichwohl kann dies noch nicht der Endzustand, sondern nur eine Zwischenetappe sein. Zwischen Bremen und Groningen fordert PRO BAHN einen ganztägigen Stundentakt mit Fernverkehrskomfort mit noch kürzeren Fahrzeiten und einem deutlich höheren Reisekomfort als dem einer Regio-S-Bahn, insbesondere auch mit Spitzplätzen erster Klasse.

Außerdem verbessern sich die Anschlüsse in Richtung Emsland nicht so, wie wir es uns wünschen. Ärgerlich ist insbesondere, dass es in Ihrhove keinen Anschluss dorthin geben wird, da der Regionalexpress nach Münster dort nicht hält. Auch in Leer sind brauchbare Anschlüsse nicht vorgesehen. Zugegebenermaßen gibt es für dieses Problem jedoch keine einfache fahrplantechnische Lösung, wenn man einerseits nicht die Anschlüsse in Leer nach Emden und Oldenburg gefährden und andererseits auch keine zusätzliche Linie in Richtung Rheine fahren lassen möchte.

Aber bevor überhaupt die hier genannten Verbeserungen umgesetzt werden können, ist noch einiges zu tun. Zunächst einmal ist die Friesenbrücke neuzubauen. Aus Sicht von PRO BAHN ist es ein unglaublicher Skandal, dass es – gerade auch angesichts der umwelt- und klimapolitischen Dringlichkeit – bis heute noch keinen Ersatz, und sei es nur eine Behelfsbrücke, gibt. Vor 2024 wird hier kein Zug die Ems queren. Wäre dies eine Autobahnbrücke gewesen, hätte es binnen eines Jahres einen wenigstens vorübergehenden Ersatz gegeben!

Dann kommt hinzu, dass die Strecke Oldenburg – Leer infrastrukturell ertüchtigt werden muss, um einen Halbstundentakt zu verkraften. Dazu müssen mindestens zwei Baumaßnahmen umgesetzt werden:

  • Zwischen Augustfehn und dem ehemaligen Halt in Stickhausen-Velde ist ein zweites Gleis zu verlegen, damit die Regio-S-Bahn und Regionalexpress bzw. Intercity sich begegnen können.
  • Zwischen Bad Zwischenahn und Oldenburg muss ein Kreuzungsgleis in Höhe des ehemaligen Halts in Bloh gebaut werden, das Güterzüge der zulässigen Höchstlänge von 740 m aufnehmen kann.

Das Fehlen des letztgenannten Kreuzungsgleises sorgt bereits jetzt für erheblichen Ärger, weil mangels Streckenkapazität zwischen Oldenburg und Bad Zwischenahn jedes Jahr tage- oder wochenweise der Zugverkehr eingeschränkt werden muss, um den Güterverkehr der Emslandstrecke aufzunehmen, wenn diese baubedingt gesperrt ist. Für den Regelverkehr und die Umleiter fehlt auf diesem Abschnitt schlicht die Kapazität. Dies hat PRO BAHN schon wiederholt kritisiert, zuletzt in einer Pressemitteilung am 11. April 2021.

Die Notwendigkeit beider Ausbauten ist den Verantwortlichen bekannt, und laut unseren Informationen sind beide auch in Planung, jedoch taucht nur der zweigleisige Abschnitt in den Unterlagen zur Wunderline auf. Bis zu einer Umsetzung wird es aber noch länger dauern, weil die Mühlen besonders bei Eisenbahnprojekten extrem langsam mahlen. Die Niederländer sind hier deutlich schneller und bauen den Abschnitt bis zur Grenze bereits auf bis zu 140 km/h aus, während bei uns noch geplant wird – aber das kennt man leider auch von anderen Projekten. Von dem Nahverkehrsangebot im Zulauf auf Groningen – hier verkehren in Stoßzeiten bis zu sechs Züge pro Stunde und Richtung – können wir ohnehin nur träumen.

Auf dem Abschnitt Leer – Grenze müssen zudem die beiden Halte in Ihrhove und Bunde neugebaut werden. Ebenfalls muss die Strecke saniert und für 120 km/h ausgebaut werden. In Weener soll eine neue Kreuzungsmöglichkeit geschaffen werden, nachdem man diese vor Jahren in weiser Voraussicht zurückgebaut hatte.

Interessant ist auch, dass auf der offiziellen Seite der Wunderline wie auch im Bauportal der Deutschen Bahn derzeit nichts (mehr) von einer Elektrifizierung zwischen Ihrhove und Groningen-Europapark zu lesen ist. Rein technisch könnte man den Betrieb zwar auch mit Diesel- oder Hybridtriebwagen durchführen, jedoch wird die NordWestBahn, die die Regio-S-Bahn bis 2036 betreiben wird, dafür bis auf weiteres ausschließlich Elektrotriebwagen zur Verfügung haben. Man darf also gespannt sein, wie man diese Herausforderung bewältigen wird.

Anbei einige interessante Links zu dem Thema:

3. Entwurf des Deutschland-Taktes: https://assets.ctfassets.net/scbs508bajse/6wYikPsl1G47nWJw5MHEhn/a0dbf1f255f2cfd6bf033941280da2ba/Netzgrafik_3._Entwurf_Nord.pdf

Untersuchung zum Potential der Wunderline im Güterverkehr: https://wunderline.nl/wp-content/uploads/2018/12/20170612-Zusammenfassung-Gueterverkehrsuntersuchung.pdf

Projekthomepage der Wunderline: https://wunderline.nl/de/

Projekthomepage der Deutschen Bahn: https://bauprojekte.deutschebahn.com/p/wunderline