Der Regionalverband Oldenburger Land/Bremen ließ sich am 27.11.21 auch von norddeutschem Schmuddelwetter nicht stören und besuchte die Bentheimer Eisenbahn, die vor kurzem die Strecke Bad Bentheim – Nordhorn – Neuenhaus im Personenverkehr reaktiviert hatte. Dabei wurde uns eindrücklich vor Augen geführt, wie man attraktiven SPNV organisieren kannd und woran es andernorts noch hapert.
Als der um wenigen Minuten verspätete Regionalzug aus Richtung Osnabrück in Bad Bentheim einfährt, wartet unser Gastgeber von der Bentheimer Eisenbahn bereits in der Tür des blau-weißen LINT-Triebwagens, der gegenüber am selben Bahnsteig auf uns wartet. Nur wenige Sekunden später schließen sich hinter unserer kleinen Gruppe, insgesamt sechs Aktive, schon die Türen, und der Zug setzt sich in Bewegung. Zunächst sehr langsam, weil es in Bad Bentheim auch zwei Jahre nach Aufnahme des Personenverkehrs noch an der nötigen Technik fehlt, um den Bahnhof mit normaler Geschwindigkeit anzufahren oder zu verlassen, aber in Höhe des Kurparks beschleunigen wir dann endlich auf die regulären 80 km/h.

Unser Gastgeber verspricht baldige Abhilfe und erzählt, dass man die dadurch gewonnene Fahrzeit für einen zusätzlichen Halt am Kurpark nutzen werde. Wir staunen, als er erzählt, dass der Halt mit einem 120 m langen, modern ausgestatteten Bahnsteig sich für wenige hunderttausend Euro realisieren lasse – bei der Deutschen Bahn kostet ein solches Vorhaben meist weit über eine Million Euro. Die Gründe liegen offenbar darin, dass es bei einem regional verankerten und vom zuständigen Landkreis Grafschaft Bentheim gesteuerten Unternehmen erstens keine überbordende Bürokratie und eine effiziente Auftragsabwicklung mit lokalen Firmen gibt.
Wir sind umso erstaunter, als wir erfahren, dass die Strecke demnächst auch für 100 km/h zugelassen werden soll. Alle wesentlichen Vorbereitungen seien bereits bei der ursprünglichen Reaktivierung berücksichtigt worden. In Niedersachsen sind 80 km/h als Höchstgeschwindigkeit auf Nebenstrecken ansonsten vom Land quasi dogmatisch als Einheitsstandard vorgegeben – ob das für einen attraktiven Fahrplan nun ausreicht oder nicht. Man hat beim Ausbau sogar ausreichende Kreuzungsmöglichkeiten für den hier regelmäßig stattfindenden Güterverkehr, sogar in Maximallänge von 750 m, berücksichtigt. Auf anderen Strecken, z. B. Delmenhorst – Hesepe, ist nach dem Ausbau für den Personenverkehr oftmals kaum noch Güterverkehr möglich, weil alles zurückgebaut wird.
In Nordhorn-Blanke – gleich zu Beginn wurden in der Stadt mit über 50.000 Einwohnern zwei Halte eingerichtet – steigen wir aus uns, um von dort mit einem Bus weiter zur Zentrale der Bentheimer Eisenbahn zu fahren. Wir wundern uns darüber, dass der Fahrkartenautomat im Wartehäuschen steht und nicht außerhalb, wie das sonst überall in Niedersachsen zu beobachten ist. Standardmäßig, so erläutert unser Gastgeber, hätte es für die Reaktivierung auch nur ein kleineres Wartehäuschen gegeben, in das der Automat nicht hineingepasst hätte. Diese fahrgastfreundliche Lösung sei nur durch einen finanziellen Zuschuss der örtlichen Geldgeber möglich geworden. Obwohl wir uns natürlich über dieses Engagement freuen, fragen wir uns, wie man ernsthaft einen solchen Standard definieren kann, der die Fahrgäste sprichwörtlich im Regen stehen lässt und vergrault, nur um wenige Euro zu sparen.

Es gibt noch verschiedene andere Punkte, über die wir uns ganz ähnlich wundern. Zum Beispiel wollte das Land nur einen Bahnsteigzugang bezahlen, obwohl sich aufgrund der Lage des Parkplatzes und der Fahrradständer zum Bahnsteig zwei Zugänge geradezu aufdrängen. Ebenso sollte der Bahnsteig eigentlich nur 110 m statt der tatsächlich gebauten 120 m lang werden, was zwar für eine Doppeleinheit der momentan eingesetzten LINT-41-Triebwagen ausreicht, jedoch für zwei LINT 54 oder andere, etwas längere Triebwagen zu kurz wäre. Man müsste dann beim Kauf neuer Fahrzeuge auch den Bahnsteig aufwendig mit allen behördlichen Verfahren anpassen lassen. Auch die Ausstattung des Bahnsteiges mit sprechenden Zugzielanzeigern, die auf Knopfdruck die nächsten Züge ansagen, findet unser Gefallen. So geht Barrierefreiheit!
Bei dem Vortrag in der Firmenzentrale werden uns die weiteren Planungen erläutert. Der jetzige Stundentakt soll über Neuenhaus bis Coevorden in den Niederlanden verlängert werden und dort einen Umstieg zum Netz der Nederlandse Spoorwegen ermöglichen. So entsteht bei guten Anschlüssen erstmals seit Jahrzehnten eine regelmäßige Zugverbindung zwischen Nordhorn und Emmen. Aber auch südlich von Bad Bentheim soll es vorangehen: Man will auch die Strecke nach Gronau reaktivieren, selbst wenn dies einen abschnittsweisen Neubau erfordert und die alte Trasse teilweise überbaut ist. Wir drücken jedenfalls die Daumen, dass dieses Vorhaben gelingt.
Am zentralen Bahnhof in Nordhorn angelangt, freuen wir uns über das große Bahnsteigdach. Hier wären vom Land auch nur zwei Wartehäuschen finanziert worden, obwohl hier zu Spitzenzeiten mehrere hundert Schüler der umliegenden Schulen auf ihren Zug warten. Es drängt sich der Gedanke auf, dass eine Art Minimalstandard für alle festgelegt wurde, den man um jeden Preis nicht überschreiten will, weil sonst jemand andernorts neidisch werden und mehr fordern könnte. Dabei liegt der Schlüssel zur Akzeptanz des SPNV vor Ort darin, die jeweils angemessenste Lösung zu finden.

Während wir uns noch über das Dach freuen, das uns vor dem Regen schützt, sehen wir zu, wie die zahlreichen Buslinien, die sich jede halbe Stunde am Bahnhof treffen und auch auf die Züge ausgerichtet sind, ankommen und wieder abfahren. Der Fahrgastwechsel ist problemlos. Es gibt keine Anschlussverluste. Schnell erkennen wir, dass die Bentheimer Eisenbahn offenbar noch große Pläne mit dem Bahnhof hat. Zum einen sind am südlichen Ende des Bahnsteigs schon Bauvorleistungen für neue Wege, die einen einfacheren Zugang gewähren, zu erkennen. Zum anderen ist das Bahnhofsgebäude derzeit entkernt und wird quasi neugebaut. Ein neuer Wartesaal, den diesmal auch das Land finanziell unterstützt, ist dabei wie selbstverständlich vorgesehen, ebenso eine Mobilitätszentrale. Darüber soll die Betriebszentrale der Eisenbahn angesiedelt werden. Der Bahnhof wird damit wieder zu einem würdigen Tor zur Stadt. Auch eine Verdichtung des Verkehrs nach Nordhorn ist geplant – klar, dass für eine Stadt dieser Größe ein Stundentakt nur ein Anfang sein kann.
Weiter geht es nach Neuenhaus, wo unser Zug noch endet. Auch hier wurden die Buslinien umorganisiert und auf die Züge ausgerichtet; ein Reisebüro bietet Fahrkarten des Nah- und Fernverkehrs sowie persönliche Beratung an. Es gibt sogar, inzwischen ungewöhnlich für ein Dorf, eine Bahnhofshalle und einen Bäcker mit richtigem Café im Bahnhof. Weil es bis zur Rückfahrt unseres Zuges eine gute halbe Stunde dauert, kehren wir hier ein und nehmen eine kleine Stärkung zu uns. In Summe, so erfahren wir, hat sich die Nutzung des ÖPNVs in der Grafschaft Bentheim durch die Reaktivierung und die Neukonzeption deutlich erhöht. Zum Beispiel liege die Zahl der Fahrgäste zwischen Nordhorn und Bad Bentheim insgesamt weit über den alten Zahlen, als es nur den Bus gab. Dieser fährt zwar weiterhin, aber nur jede Stunde und versetzt zum Zug, so dass sich beide keine Konkurrenz machen. Die Bahn zieht also wirklich neue Fahrgäste an und nicht alte vom Bus ab.
Zufrieden und gestärkt fahren wir anschließend nach Bad Bentheim zurück, wo wir die kurze Umsteigepause noch nutzen, um das weltberühmte Fenster, das dereinst als Eingang zur Bahnhofshalle diente, zu bestaunen. Danach geht es nach Hause. Das Beispiel Bentheimer Eisenbahn hat uns gezeigt, dass man auch mit überschaubaren Mitteln, viel persönlichem Einsatz und vor allem Beachtung der Details wirklich nachahmenswerte Ergebnisse erzielen kann. Vor allem zeigt es aber auch, wie wichtig es ist, dass eine Bahnstrecke von den Akteuren vor Ort gestützt und gefördert wird und dass sich das Handeln an den Bedürfnissen und Wünschen der Fahrgäste orientiert. Wir wünschen uns, dass derartiges pragmatisches Handeln überall Einzug hält.
