Wahlkreis 055 Bremen II – Bremerhaven, Linke

1. Frage: Welche Bedeutung hat der öffentliche Personenverkehr für Sie? Welche Bedeutung sollte er in zehn Jahren haben?

Der massive Ausbau und die Vergünstigung des ÖPNV – zunächst 365-Euro-Jahresticket, perspektivisch ausfinanziertes „ticketloses Einsteigen“ – ist für uns das zentrale Element, um eine klimaneutrale und sozial gerechte Verkehrswende zu erreichen. Bis 2030 wollen wir die Zahl der Nutzer*innen mindestens verdoppeln.

2. Frage: Welche Schwerpunkte sollten nach Ihrer Überzeugung in der Verkehrspolitik der kommenden Legislaturperiode gesetzt werden? Welche Gründe haben Sie dafür?

Der ÖPNV muss gerade auch im ländlichen Bereich herausragend gestärkt werden: durch eine bessere Taktung, attraktivere Angebote. Wir wollen perspektivisch auch hier einen ticketfreien Nahverkehr mit den Teilschritten: echte Sozialtickets, 365-Euro-Modelle und Vergünstigungen für Schülerinnen, Azubis, Studierende, Seniorinnen usw. All das erfordert erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Fuhrpark. Ebenso wichtig sind eine Ausbildungsoffensive und eine Aufwertung von Berufen wie Lokführerin und Busfahrerin. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren 200.000 neue Beschäftigte in den Verkehrsbetrieben gebraucht werden.

3. Frage: Infolge der coronabedingt eingebrochenen Fahrgastzahlen ist die Finanzierung des öffentlichen Personenverkehrs massiv gefährdet. Was wollen Sie tun, um die Finanzierung sicherzustellen?

Wir haben uns immer für einen öffentlichen Ausgleich der Einnahmeverluste, für die Bereitstellung von Geldern für außerplanmäßige Investitionen im Sinne des Infektionsschutzes eingesetzt und die Verlängerung der befristeten Rettungspakete gefordert. Neben der vollen Kompensation der Fahrgelderträge braucht es aber angesichts der Pandemieerfahrung auch eine unmittelbare Erweiterung und Anpassung des Angebots, auf veränderte Bedingungen muss bedarfsgerecht reagiert werden können. In Bremen wurden deshalb beispielsweise zusätzliche Bahnen und Busse bestellt. In diese Richtung muss bundesweit gearbeitet werden.

4. Frage: Wenn es, u.a. als Pandemiefolge, zu finanziellen Zielkonflikten käme, wären Sie dazu bereit, Straßen- und vor allem Autobahnneubauten zugunsten von Schieneninfrastrukturmaßnahmen zurückzustellen?

Ja. Wir fordern eine grundsätzliche und weitreichende Abkehr vom Primat des motorisierten Individualverkehrs in der Investitionsplanung des Verkehrsministeriums. Ein Umdenken braucht es allerdings auch in der Geschäftspolitik der privatrechtlich organisierten Bahn: Wir wollen die DB wieder am Gemeinwohl orientieren, von den Profitzwängen befreien und die Netzinfrastruktur zurück in öffentliche Hand überführen. Wir wollen die Deutsche Bahn als Rückgrat der sozial-ökologischen Verkehrswende aufstellen.

5. Frage: Was wollen Sie tun, um die verschiedenen Verkehrsträger besser miteinander zu verknüpfen und den Übergang auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiver zu machen?

Reisen mit dem Rad per DB-Fernverkehr ist aus eigener Anschauung oftmals eine Herausforderung, hier muss das Angebot an Stellplätzen, Servicepersonal, Hinweisen auf Fahrradwaggons ausgebaut und der Ticketerwerb endlich unkompliziert gestaltet werden. An Bahnhöfen fehlen zusätzliche sichere und möglichst überdachte Fahrradstellplätze. Noch gravierender sind derartige Unstimmigkeiten, wenn ich da an Reisende mit Kinderwagen oder Menschen mit Beeinträchtigung denke, für die oftmals keine alltagstaugliche Infrastruktur an Ausschilderungen, Fahrstühlen, Übergängen etc. existiert, von der Unflexibilität vieler Bahnwaggons gegenüber inklusiven Bedarfen ganz zu schweigen. Hier sehe ich großen Handlungsbedarf.

6. Frage: Gerade in ländlichen Gebieten gibt es bis heute kaum Möglichkeiten, sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortzubewegen. Welche Pläne haben Sie, um allen Menschen hinreichend Mobilität ohne eigenes Auto zu ermöglichen?

Wir wollen eine Mobilitätsgarantie für den ländlichen Raum: Anbindung der Gemeinden untereinander und zum nächsten städtischen Zentrum mindestens im Stundentakt zwischen 6 und 22 Uhr. Dabei können Angebote wie Bürgerbusse oder Anruf-Sammeltaxis sowie moderne Flächenruf-Bussysteme und auch Taxen einbezogen werden und die Grundversorgung ergänzen. Zusätzlich sollten Mobilitätsstationen mit einer Auswahl von geteilten Verkehrsmitteln aufgebaut werden.

7. Frage: Welche Ausbaumaßnahmen für und/oder Reaktivierungen von Schienenstrecken in Ihrem Wahlkreis werden Sie in der kommenden Legislaturperiode voranbringen?

Grundsätzlich gilt: Wir wollen mit einem Reaktivierungsprogramm zahlreiche in den letzten Jahrzehnten stillgelegte Bahnstrecken wieder aufbauen und so ganze Regionen wieder ans Gleisnetz anschließen. Mobilität mit der Bahn muss auch im ländlichen Raum möglich sein. Für Bremen sind zwei Vorhaben zentral: die Anbindung Bremerhavens an den Fernverkehr und der Ausbau der Strecken für den Güterverkehr von und zu den Seehäfen. Zwischen Bremen und Bremerhaven muss deshalb zügig ein drittes Gleis verlegt werden.

8. Frage: Wie stehen Sie zum Deutschland-Takt? Welche Verbesserungen erwarten Sie für unsere Region im Hinblick auf den Deutschland-Takt?

Der Deutschland-Takt ist grundsätzlich sinnvoll, weil er die verschiedenen Fahrpläne der Länder integrieren will. Für den Nordwesten sieht der Planentwurf einige Verbesserungen vor. Für das Land Bremen halte ich darüber hinaus eine bessere Anbindung an Groningen (stündlich ab Bremen) und eine verbesserte Direktanbindung von Bremerhaven nach Hamburg (über Bremervörde) für prioritär.

9. Frage: Wie wollen Sie die Fernverkehrsanbindung des Nordwestens verbessern? Was wollen Sie dagegen tun, dass die Fernzüge von Bremen in Richtung Hannover bei Baustellen ständig gekürzt oder gestrichen werden?

Für die Verbindung Bremen-Hannover braucht es dringend ein weiteres Gleis am Engpass zwischen Langwedel und Bremen-Hemelingen, das unverzüglich geplant und realisiert werden muss. Generell muss die Bahn permanent rechtzeitig in ihre Strecken investieren, um Bruchstellen und Fehlerquellen zu korrigieren.

10. Frage: Im Nordwesten gibt es eine große Zahl nicht elektrifizierter Strecken. Sehen Sie die Elektrifizierung weiterer Strecken als sinnvollste Option an und, wenn ja, welche Strecken würden Sie elektrifizieren?

Die Elektrifizierung muss so flächendeckend wie möglich realisiert werden, um schnell auf Dieselloks verzichten zu können. Die Verbindung Cuxhaven-Bremen muss in diesem Sinne schnell umgerüstet werden.

11. Frage: Die Bahn hat in Sachen Barrierefreiheit noch einigen Nachholbedarf. Wie sollte dies in den nächsten Jahren angegangen und gefördert werden? Welche Rolle sollte der Bund einnehmen?

Eine sehr viel größere! Wir fordern im Bahnverkehr die Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit unter anderem durch Servicepersonal, Aufzüge, Rampen, Gleisübergänge, Anpassung von Bahnsteigen, taktile Rillen, Lautsprecheransagen sowie Entwicklung und Einsatz von fahrzeuggebundenen und von den Betroffenen weitgehend autonom zu bedienenden Einstiegshilfen. Älteren und anderen, für die elektronische Ticketkäufe eine Barriere darstellen, muss ausreichend Service an den Bahnhöfen zur Verfügung gestellt werden. Der Bund muss bei diesen Investitionen auch im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention die Hauptverantwortung übernehmen.